Weil 280 Zeichen nicht reichen

Okay, Musk kauft oder kauft nicht Twitter. Viele regt das auf, manche ziehen um auf andere Plattformen. Ich bleibe und ich sage, weshalb.

Twitter ist für mich der erste Ort für Schreibende. Twitter bedeutet, auf wenig Platz alles unterbringen zu müssen, was man sagen möchte. Das allein ist eine Übung. Begrenzt Platz zu haben bedeutet für mich, mir vorher zu überlegen, was ich sagen möchte und Unwichtiges rauszustreichen. Und Kürzen ist schließlich eine der schwierigsten Aufgaben! Twitter ist klasse, um das zu üben.

Ohne Twitter hätte ich viele Menschen nicht kennengelernt, die mir viel beigebracht haben. Ich wäre einigen mir heute sehr wichtigen Freund*innen nie begegnet. Twitter ist unser Ort. Ohne Twitter würde mir das Gefühl von Zugehörigkeit im Netz fehlen. Oh hey, wartet. Es gibt doch noch Instagram. Und tumblr! Da bin ich auch. Aber findet da Austausch statt? Für mich kaum. Twitter gibt mir dieses Gefühl, in einem Forum (meine Twitter-Timeline) unterwegs zu sein und mich dort in Unterforen (die Tweets) einloggen und mitreden zu können. Es tut gut zu wissen, dass es auf Twitter nicht vorrangig um schöne Bilder geht, sondern um kreative Prozesse, Inhalte, Diskussion und Austausch. Twitter ist für mich ein Ort der Begegnung und der Menschen.

Über die vielen Jahre, die ich Twitter nutze, habe ich auch einen Prozess durchlebt. Ich fing in einer sehr kleinen Blase aus mir persönlich bekannten Freund*innen an und inzwischen darf ich Teil verschiedener Bubbles sein und überall auch mitreden, wenn ich es möchte. Die Möglichkeit, Bubble übergreifend mitlesen und -schreiben zu können hat mir in den letzten Jahren keine Social Media-Plattform bieten können.

Twitter war nicht immer cozy.

Es gab eine Zeit, in der schrieb ich viele politische Tweets. Ich engagiere mich als Mentorin für die Initiative Arbeiterkind. Bildungs- und Chancengerechtigkeit liegen am Herzen. Obwohl man denken könnte, dass die meisten Menschen eine ähnliche Vorstellung von einer gerechteren Welt haben und sich gegenseitig nur Gutes wünschen, ist es nicht so. Es gibt einige wenige – die Guten sind in der Überzahl, das dürfen wir nicht vergessen! -, die es nicht so sehen und jede Chance nutzen, um diejenigen anzugreifen, die sich politisch für etwas Gutes einsetzen. Manchmal habe mich angelegt, Shitstorms erlebt und musste in letzter Konsequenz meinen Account für eine Weile schließen. Danach beschloss ich, nicht mehr aktiv politisch zu twittern und habe mich für einen anderen Weg entschieden. Ich habe den Alltag poetisiert. Um jedoch „menschlicher“ auf Twitter zu wirken, habe ich den „Alltagstweet für mehr Lebensnähe“ erfunden. Eine Überschrift, unter der Alltägliches seinen Platz findet.

Twitter war für mich immer auch ein Ort des Ausprobierens.

Ohne Twitter hätte es „Lange laut lachen“ nicht gegeben. Ohne meine Verbindung zu Sukultur und Sofie Lichtenstein hätte ich nichts vom Aufruf mitbekommen. Ich hätte den down by berlin-Blog vom Herzstück-Verlag nicht kennen gelernt, oder Lytter – das Magazin für Twitter-Lyrik und die Literaturzeitschrift mischend aus Österreich. Ich hätte all die Menschen, die dahinterstehen nie gesprochen und dürfte heute nicht lesen, was sie zu berichten haben. Besondere Verlage wären mir nicht so früh aufgefallen, wie etwa der Frohmann-Verlag oder mikrotext. Ich hätte nie einen Kontakt zum SWR hergestellt und hätte die Autorin Ina Steg nicht gekannt, die mich bestärkte, es mit einem Drehbuch bei Kiddinx zu versuchen. So bin ich schließlich bei Benjamin Blümchen gelandet.

Vielleicht wäre mein Leben ohne Twitter weniger Text und mehr schönes Bild. Who knows? Okay … Twitter ist auch viel Gepöbel, Twitter ist laut, Twitter ist Rausch. Da gehen die vielen freundlichen Dinge, die passieren, leider oft auch unter. Ich vergesse sie aber nicht und ich werfe das alles nicht weg, nur weil irgendwer Twitter kauft.

Heinrich-Heine-Gastdozent 2022: Gregor Sander

Ich bin mittendrin im Sommersemester 22. Nicht als Studentin, sondern als Dozentin. Es ist mein dritter Lehrauftrag an der Leuphana Universität in Lüneburg. Diesmal geht es etwas anders zu, nämlich in Zusammenarbeit mit dem Literaturbüro Lüneburg.

Ich freue mich sehr, das Begleitseminar zur diesjährigen Heinrich-Heine-Gastdozentur geben zu dürfen. Der Autor Gregor Sander wird gegen Ende des Semesters einen Workshop geben sowie bei einer Lesung aus seinem neuen Buch „Lenin auf Schalke“ lesen.

Doch zunächst kurz zu dem, was war.

Bisher lehrte ich an der Fakultät für Deutsch. Ich sprach mit den Studierenden über Außenseiter*innenfiguren in Fernsehserien, wofür wir wöchentlich Serien ansahen und an Fachliteratur entlang über das Gesehene sprachen.
Dann gab ich zuletzt ein Seminar zum Thema „Schreiben über das Schreiben“. Wir haben Texte von Autor*innen gelesen, in denen sie sich mit ihrem eigenen Schreiben beschäftigt haben. Entlang praktischer Übungen haben wir versucht, uns den Gedanken der Autor*innen anzunähern und haben dafür auch Methoden genutzt, die von den Autor*innen empfohlen und selbst praktiziert werden/wurden.

Nun unterrichte ich in der Kulturwissenschaft und gebe ein Begleitseminar zur Heinrich-Heine-Gastdozentur, die dieses Jahr an den Autoren Gregor Sander verliehen wurde. Es ist anders, es ist neu, es macht mir Spaß. Und vor allem: Am Ende gibt es eine Lesung und einen Workshop, den Gregor Sander in meinem Seminar geben wird. Vor allem darauf bin ich gespannt. Wir erarbeiten uns bis dahin einen Überblick über sein Werk und freuen uns insbesondere auf die Lektüre seines aktuellen Romans „Lenin auf Schalke“.

Mit Kindern über Krieg reden

Uns alle beschäftigen die grausamen Geschehnisse in der Ukraine und auch Kinder sehen, was geschieht. Wenn ihr mit ihnen über die Lage in der Ukraine und Krieg sprecht, dann vermeidet Ausdrücke wie „vor der Tür“ und „dicht dran“. Kinder können oft noch nicht verstehen, was dies bedeutet und denken, es bestünde eine akute Bedrohung für sie. Kinder machen sich Gedanken und sorgen sich, auch wenn manche „Große“ das gern verdrängen. Denn Kindern ihre Sorgen zu nehmen bedeutet, sich mit den eigenen auseinanderzusetzen. Sagt in solchen Situationen zu Kindern Sätze wie „Krieg in Deutschland ist unwahrscheinlich.“ Und nennt positive Beispiele, in denen eine Eskalation von Konflikten durch Gespräche verhindert werden konnte.
Mit Kindern, die eigene Kriegs- und Fluchterfahrungen haben, muss nun besonders achtsam umgegangen werden und man darf sich nicht wundern, wenn in den nächsten Tagen nichts so „funktioniert“, wie sonst. Denn auch kleine Kinder werden von großen Nachrichten berührt.

Kinder hören hin und verstehen auf ihre Weise

Als Kind dachte ich, ich würde im „Wilden Westen“ leben, weil in Deutschland immer von Osten und Westen die Rede war. Ich dachte, hinter meinem Wohnort liegt die Prärie. In der Abendsonne suchte ich den Horizont nach Steppenläufern ab (diese Grasbüschel, die man in Westernfilmen durch das Bild rollen sieht). Kinder hören genau hin, aber ihnen fehlt das Welt- und Kontextwissen, das mit den Jahren größer wird. Dann müssen wir zunächst erklären, und zwar ohne zu beschönigen. Wir müssen dabei ehrlich sein, während wir entdramatisieren. Es ist nicht einfach, denn wir müssen genau darauf achten, welche Worte wir benutzen und vielleicht auch hinterfragen, mit welchen Erzählungen wir aufgewachsen sind.

Eine Seite, auf der es Informationen für kindgerechten Umgang mit Fragen rund um das Thema Krieg und Frieden gibt, ist Frieden fragen.

Es ist Freitag, ich bin in Liebe.

5 Dinge, die ich mit euch teilen möchte.

  1. Dieser Artikel, in dem es darum geht, weshalb Katzen über ein drittes Augenlid verfügen und wir Menschen nicht.

  2. Das virtuelle Amos Rex in Helsinki ist ein Kunstmuseum mit spektakulärer Architektur. Es wurde 2018 eröffnet und ist genauso wie das reale, aber online. Zu sehen sind Kunstwerke aus den Ausstellungen und Werke, die speziell für das virtuelle Museum geschaffen wurden.

  3. ††† (Crosses) Version von Goodbye Horses. Die meisten kennen das Lied wohl aus dem Film Schweigen der Lämmer (1991), in dem die Version von der Sängerin Q Lazzarus gespielt wird. Hinweis: Es gibt noch eine Hommage an die berühmte SdL-Szene in Kevin Smiths Clerks 2, die albern ist, aber wenn man sich schon Teil 2 von Clerks ansieht, weiß man ja, worauf man sich einlässt. 😉
  1. Ina Stegs Buch „Hömma, kommt kein Bus?“: Dönekes vonne Haltestelle. Erich und Mona sitzen an der Haltestelle irgendwo in … tja, wo eigentlich genau? Ich komme ja aus Norddeutschland und frage mich, wo man denn so spricht, wie man in Inas Buch spricht. Köln? Düsseldorf? Irgendwo im Westen halt und dort, wo man nicht so spricht, wie ich. Hier ist meine Norddeutsche Version von „Hömma, kommt kein Bus?“:

    „Kommt der Bus nich?“
    – Nee.
    ENDE

    Lest Inas Buch. Was die Leute da alles an der Haltestelle reden, kannse dir nich ausdenken.* Außer du bist Ina.
    *“kannse dir nich ausdenken“ ist mein Versuch, Dialekt zu schreiben, ok.

  2. Nora und ich sind bei Animal Crossing jetzt beste Freundinnen. 🐽💕

Jahresanfangscollage

In etwas Bequemes schlüpfen, in die Dunkelheit etwa.

Musik (tragend, heiter)
Nacht ab, Tag auf
Der Januar umarmt mich mit seinen milden Geschenken. Er legt mir Moos um die Schultern, Regen auf die Augen. Ein Schrei

Auf der falschen Seite des Alls aufgewacht. monday morning cry

Homeoffice mit Katze im Rücken, just like heaven. Es ist Freitag, ich bin in Liebe. Wenn man dreimal „I’m in Love“ in den Spiegel sagt, erscheint Robert Smith und sagt leise „Yeah …“. (Katze schnarcht; Lovecat) Schreiben (ein Elefant stapft durchs Wohnzimmer), überlegen (ein Zebra, ein Nashorn, ein kleiner Junge mit roten Haaren hinterher), aus dem Fenster sehen (eine Reporterin fährt auf ihrem Roller vorbei).

(fliegt durchs Bild) In der einen Hand den Tag, in der anderen den Wind. Sind wir in Oz aufgewacht? Es stürmt so sehr, vor dem Fenster ein Heulen wie von Geistern. (Wir treffen uns um Mitternacht im Auge des Sturms.)

Lebe deine Träume. Schreibe das Theaterstück, stemme Gewichte, eröffne den Pralinenladen, werde Mitglied in der Band, deren Frontmann ein Kater ist und lasst euch zum Zeichen eurer Verbundenheit vegane Lederjacken anfertigen. Und hört auf das, was der Förster sagt. Wenn ihr euch im Wald in einen Kreis aus Pilzen stellt und daraufhin der Waldgott erscheint, ist es vollkommen in Ordnung, mit ihm durchzubrennen und ein Leben abseits der Zivilisation zu führen. Vielleicht ist es auch Zeit. Zeit, ans Meer zu fahren, den Blick zum Horizont und immer der Nase nach. So lange, bis das Wasser die Schultern umspült, die Meermenschen kommen und eine Einladung aussprechen, die man nicht ablehnen kann.

Ich bin der Januar. Ich trage den Winter in und die Sonne vor mir. Ich lasse den Boden zerspringen und das Licht brechen. Am Ende des Monats werden einige es kaum noch aushalten und dann werde ich vergehen. Entschuldigt mich, während ich am Rande des Waldes sitze, in einen dicken Mantel gehüllt und mit einem alten Buch in den Händen, Flüche sprechend, Geister rufend.

Tag ab, Nacht auf
Sich selbst die Nacht sein, die man braucht. Die Sonne weiterhin im Herzen tragen.

Januar – mein Tweet über das Telefonieren geht viral

Einen Tag, nachdem ich mit meinem Schreibtisch auf den Dachboden zog, saß ich unter dem Fenster und dachte nach. Es war irgendwas bei halb elf und ich hatte gut zu tun. Gerade saß ich an einem Text für das Benjamin Blümchen-Magazin und meine Kollegin und ich steckten mitten in den Plänen zur Renovierung des neuen Kulturzentrums (wir haben noch keinen Namen, wollen uns aber im Februar festlegen. Es ist ein … Prozess 😅), also geisterten mir immer wieder auch Gedanken an Wandfarben und Schleifmaschinen durch den Kopf. Ich dachte aber auch daran, dass ich schon längst ein Telefonat führen hätte können, wenn ich nur nicht so wenig Lust dazu hätte, mich zu unterhalten. Klingt nach einem First World-Problem, beschäftigt aber ganz offenbar nicht nur mich allein, sondern trifft einen Nerv.
Wie gesagt: Ich wollte einfach nicht telefonieren. Also tat ich jede Menge anderer Dinge. Ich schrieb, sah auf die Uhr, überlegte, was ich am Telefon sagen könnte, welche Antworten möglich wären, schrieb noch etwas, machte mir ein Brot, sah aus dem Fenster, dachte wieder an das Telefonat und daran, dass sich die Zeit vor und nach aufgeschobenen Anrufen immer etwas merkwürdig anfühlt.

Also schrieb ich

09:00 – 13:00 Mich auf ein Telefonat vorbereiten
13:00 – 13:03 Telefonat
13:04 – 17:00 Erholen vom Telefonat

und veröffentlichte es auf Twitter. Es dauerte keinen Tag und über 10.000 Menschen hatten ihn geliked. Er wurde geteilt, kommentiert und verschiedene Medien-Accounts fragten an, ob sie mich zitieren dürften. Unter anderem der WDR. Ziemlich aufregend, huh.

Wenn Tweets viral gehen, dann entwickeln sie manchmal ein Eigenleben. Als Verfasser*in kann man da nur zuschauen und sich freuen und ein bisschen wundern. Viele Menschen haben sich unter meinem Tweet über ihre Erfahrungen mit Angststörungen und Depressionen unterhalten. Offenbar geht es für Menschen nicht nur darum, nicht telefonieren zu wollen, sondern nicht telefonieren zu können. Es wurde kritisiert, dass viele Institutionen zu wenige Wege der Kommunikation anbieten, obwohl ein Bedarf besteht. Es braucht die Möglichkeit, Kontakt per E-Mail oder Messenger aufzunehmen, und es muss genauso normalisiert werden, wie eine Kontaktaufnahme per Telefon. Eine schriftliche Kontaktaufnahme hat den Vorteil, dass der Mensch, der Kontakt aufnimmt, dies aber ungern per Telefon tut, so in Ruhe überlegen kann, was er*sie mitteilen möchte. Kommunikation kann so ohne Zeitdruck geschehen und es entsteht keine Not, unmittelbar reagieren zu müssen. Vielen Menschen kann dies den Weg zu mancher Institution oder Praxis oder einem Termin erleichtern.

In dem oben erwähnten Kulturzentrum, das meine Kollegin und ich seit Dezember leiten, arbeiten wir inklusiv und barrierefrei. Der Raum ist bereits entsprechend gestaltet und umgebaut und wir werden Angebote und Veranstaltungen so einrichten, dass sie möglichst wenige und bestenfalls keine Hürden aufweisen. Wir werden auch darauf achten, Anmeldungen zu unseren Workshops und Kursen per E-Mail zu ermöglichen; ganz neben dem klassischen Telefon natürlich. Mir ist es wichtig, dass Menschen sich gerne mit mir in Verbindung setzen und nicht stundenlang darüber nachdenken und es am Ende gar nicht machen, nur weil das Mittel zu belastend ist. Das hätten wir von Anfang an so gemacht, ob ich den Tweet geschrieben hätte oder nicht. Aber ich werde in Zukunft noch mehr beachten, darauf hinzuweisen, wie viele verschiedene Wege zu uns führen und dass jeder davon in Ordnung ist.

Dezemberfluchten

1 Ein kleiner Junge geht im Wald spazieren. In der einen Hand ein Buch, in der anderen eine Lupe. Heute wird Kleines ganz groß und auch die Zeit dehnt sich aus.

2 Die Milchstraße. Es gibt hier viele Tiere, vor allem Yaks und Kühe. Sie mampfen friedlich das Milchgras, springen von Stern zu Stern und abends bekommen sie Besuch vom Mondmann. Er bringt Zimt und Zucker für den Milchreis.

3 Weltraumpirat Iggy umrundet schon zum 400. Mal unsere Erde. „Schön“, denkt er. „Sie haben es doch geschafft.“ Er hebt seinen Kaffeebecher zum Gruß und wischt sich eine Träne von der Wange.

4 Frau Holle schüttelt die Betten auf, sieben Zwerge servieren Apfelkuchen mit Sahne. Ein Frosch fliegt vorbei und bittet um den ersten Tanz.

5 Weich und mondförmig liegt sie im Sonntag. Aus ihren Fingerspitzen rieselt Schnee, ein leises Lied erklingt.

6 Ein Dezembermorgen. Du öffnest die Tür deines Kleiderschrankes, heraus kommt die tiefstehende Sonne in dickem Mantel und Schal. Sie reicht dir deinen Hut und zusammen zieht ihr los. Am nächsten Tag sind alle Bäume kahl und die Welt schläft unter geduldigem Schnee.

7 Schöne Weihnachtsgeschenke
• ein warmer Schal
• dickes Buch
• Dolch
• Massagegutschein
• die eingekorkte Seele deines Feindes, für immer fest verschlossen
• Schokolade

8 Was schenkt ihr euch selbst?

9 Lasst euch nicht einreden, ihr könntet nicht für den Rest eures Lebens glücklich in einer selbstgezimmerten Holzhütte in den finnischen Wäldern mit zwei Hexen und 12 Geistern leben und den ganzen Tag nur Glühwein trinken und tanzen.

Zehn Immer eine Entscheidung davon entfernt, diese Gesellschaft zu verlassen und im Wald unter Bäumen und Sträuchern zu leben.

Elf Nun sind wir Riesen in den Erzählungen der Ameisen, die einst unsere Körper überquerten.

Zwölf All I want for Christmas is dass ich in Ruhe ein Buch lesen, Musik hören und Süßkram essen kann. Und dass das Gespenst, das hier unter dem Dach wohnt, mein Freund wird.

Dreizehn Tür 13, das Liebeszimmer. Rowena stirbt, Ligeia erwacht.

Vierzehn Heute auf meiner To Do Liste: das Ding im Wald sein, vor dem das Dorf sich fürchtet

Fünfzehn Ein Tag wie eine F all
t
ü
r

Sechzehn Die Küche. Plätzchen knistern und werden von warmem Licht beschienen. In bauchigen Kannen zieht Tee. Auf dem Herd köchelt ein Eintopf, in dem der Löffel steht.

Siebzehn LOVE PEACE FOLLOWER

Achtzehn Ich liebe sie, wenn sie gewinnt. Sie freut sich so lange, bis es kaum noch zu ertragen ist. Sie gibt uns Pizza aus, ich hole Wein aus meinem Rucksack. Morgen reist sie wieder ab. Wir unterhalten uns über Gespenster, geben uns einen Abschiedskuss und warten auf die Zeit im Winter.

Neunzehn Das Elefantenzimmer. Ein Dickhäuter fliegt vorbei, er hat Pfannkuchen dabei. Zusammen werden wir eine Ahornsirupquelle aufsuchen, niemand kann uns heute aufhalten. Niemand.

Zwanzig Dahingleitende Gespenster und Liebe, ein Herz knirscht >crunch<

tbc

Gespensterbriefe an den Zeitgeist

Mein liebes Gespenst,

viele Dinge wurden im vergangenen Jahr verschoben. Es ist so, dass mir nicht nur die Dinge verschoben vorkommen, sondern mir kommt alles verschoben vor. Von der einen Seite auf die andere verfrachtet, in der Eile beiseite gedrängt, gebracht, zugedeckt, in Ruhe gelassen und seitdem liegt es da. Unter einer Decke des Schweigens, wie aufgeladen.

Das ist es, was mal eine Freundin zu mir sagte, als ich sie in ihrer kleinen Einzimmerwohnung in der Innenstadt besuchte. Ich klingelte zwanzig Minuten vor der verabredeten Zeit an ihrer Tür, sie war noch nicht fertig damit, aufzuräumen. Lächelnd öffnete sie mir, bat mich in ihr Zimmer und warf alle Dinge, die sie noch hätte wegräumen wollen, auf einen Haufen und breitete darüber eine Decke aus. Sie nannte sie die „Decke des Schweigens“ und ich habe bis heute nicht vergessen, dass darunter alles lag, womit sie sich noch hätte beschäftigen wollen. Was wir an dem Tag noch so taten, weiß ich hingegen nicht mehr.

Manchmal lüfte ich die Decke 2020/2021 und erschrecke beim Anblick aller verschobenen Dinge. In mir zieht sich dann etwas zusammen, Körpermitte. Mein Herz tut auch ein wenig weh. Und ich frage mich, ob die Dinge jemals wieder ihren Platz einnehmen können. Ob ich alles einmal in die Hand nehmen, besehen und mich damit beschäftigen kann oder ich nur ewig daran denken werde.

Heute lugte ein Zipfel deines Lakens unter der Decke hervor und ich packte zu. Nun sitzen wir hier am Küchentisch, rote Decke, grüne Ranken. Ein Kranz aus Ästen, Kerzen, einige Bücher um uns herum. Meine Körpermitte knirscht. Ich frage mich, ob das der Anfang vom Zurückschieben ist. Schließlich begann ich, dir bereits vor einem Jahr zu schreiben und dann – Decke des Schweigens. Verschoben. Ich konnte keine Briefe mehr schreiben und du hast mir auch nicht mehr geantwortet. Ich schätze, die Dinge haben ein Eigenleben; für sich. Selbst dann, wenn wir sie beiseite geworfen und zugedeckt haben. Und so überraschst du mich mit deiner Leichtigkeit, mein liebes Gespenst.

Während ich dir schreibe, komme ich einer Sache wieder näher. Ich greife zurück und verflechte die Gegenwart mit dem, was war und lasse zu, dass wir die Geschichte weitererzählen.

Nun genügt es jedoch, ich kann nicht mehr. Wenn du möchtest, dann geh wieder unter die Decke oder bleib noch ein wenig am Tisch. Es ist dir freigestellt.
Nun fehlt noch ein Schluss am Ende des Briefes. So würde es (m)eine Redakteurin an dieser Stelle kommentieren und ich würde es verstehen und so einen hübschen Schluss formulieren. Doch ich verschiebe das. Es ist Ende 2021, Schlusssätze sind mir heute ganz egal.

Deine Jess