Gespensterbrief #4

Seit einem Monat bin ich als Autorin auf Steady vertreten und schreibe dort Gespensterbriefe an den Zeitgeist. Ich bin überwältigt von der Resonanz. Von den Zuschriften, die ich bekomme und von den Menschen, die ich damit erreiche und wohl berühre. Es freut mich, dass sich andere in meinen Texten erkennen können.

Weil es ohne Crossposting heute irgendwie nicht mehr geht, gibt es hier auf meiner Webseite hin und wieder einige Auszüge oder Essenzen aus den Briefen. Auch in der Hoffnung, mehr Leser*innen zu erreichen. Texte leben vom Gelesenwerden und das geht nur, indem man sie überall liegen lässt, verteilt, immer wieder auf sie aufmerksam macht. Und schließlich leben auch Autorinnen vom Gelesenwerden. Den Menschen, die mir ihr Vertrauen schenken und meine Texte teilen und mir somit auch Arbeit abnehmen, gebührt mein umfänglicher Dank. Ohne euch wäre ich nicht ganz. Ihr seid mir eine große Hilfe.


Erstmal die krummen Gedanken ausstrecken

Mein liebes Gespenst,

ich möchte einmal in einem Haus leben, aus dessen Küche man in den Garten gelangt. Ich möchte auf der Fensterbank hinter der Spüle Kräutertöpfe stehen haben und an einem Regalbrett an der Wand hängen dickbäuchige bunte Kaffeetassen. Ich möchte einen großen Küchentisch haben, an dem alle meine Freund*innen Platz haben. Sie besuchen mich regelmäßig und gerne, sie fühlen sich bei mir willkommen, denn ich backe perfekten veganen Kuchen und meine Zähne sind gerade. Eines Tages wird jemand eine Katze erfunden haben, die niemals stirbt. Sie lebt bei mir und meinem Mann und unseren drei Kindern. 

Meine Freund*innen stehen mir nahe und sie wissen, wie ich wirklich bin. Wenn in meinem Zimmer – das für mich allein – das Licht ausgeschaltet, aber die Musik eingeschaltet ist, dann kommen sie nicht hinein. Wir teilen gemeinsame Träume und Wünsche und irgendwann werden wir zusammen auf einem Resthof leben und uns umeinander kümmern, wenn wir alt geworden sind. Unsere Kinder sind unterwegs, sie müssen das nicht tun, sie haben ihr Leben, wir haben sie lieb.

Bis es soweit ist, feiern wir Feste, nehmen manchmal Drogen und alles läuft ganz kontrolliert unkontrolliert. Sobald es dunkel wird, ist immer etwas lauwarme Pizza im Ofen und der Soundtrack zur Nacht wurde vom Mond kuratiert. Meine Arbeit erfüllt mich, ich mache nicht zu viel und sobald ich eine Aufgabe erledigt habe, denke ich erst wieder an die nächste, wenn es an der Zeit dafür ist. Hauptsächlich schreibe ich Bücher und kurze Geschichten und traue mich, jedes Thema anzugehen, das mich interessiert. Denn ich weiß, es wird die Richtigen erreichen.

Kannst du mich verstehen?

In ihren Augen die leise Bitte um ein Leuchten
Manche Erinnerung, wie in Nebel eingekocht
Jeden Tag ein kleiner Mord am Kind, das man einst war

Wie bleibt man zuversichtlich in einer Welt, die einem anders versprochen wurde?

In den vergangenen Monaten habe ich einige Menschen näher kennenlernen dürfen, die mich immer wieder sehr berühren. Mein Brustkorb ist offen, sie küssen mein Herz. Ich lasse sie. 

Durch offene Herzen zieht hin und wieder der heftigste Wind.

Es ist gerade alles sehr viel. Sogar die schönen Dinge sind viel. Meine Gefühle für die Welt, hören die irgendwann mal auf? Es ist diese garstige Empfindsamkeit, die mich davon abhält, jetzt Kekse zu backen wie alle anderen auch.

Durch das kleine Fenster im Dach dringt ein grünes Rauschen. Ich rolle mich ein, die tote Katze kommt und streichelt mich, erzählt von denen, die ich vermisse.

Sie sind, was sie früher waren, schreibt mir Frau S. auf Twitter. Ja. Das ist wahr. Ich erkenne die Vermissten in meinen Handlungen und manchmal stelle ich mir vor, was sie wohl sagen würden. Ich hätte sie gerne weiter mit auf meine Reise genommen.

Im Juli besuchte ich eine Gartenparty in Berlin. Dort traf ich auf Menschen, die mir was bedeuten und saß einige Stunden mit Maike zusammen, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie hat meinen Kompass für Menschen neu kalibriert.

Mein liebes Gespenst, wie bleibt man sich verbunden?

Ich danke allen, die mich unterstützen, die abonnieren und dies teilen. 🧡 Mit diesem Newsletter erfülle ich mir einen jahrelangen Wunsch. Ich wusste lange nicht, worüber ich schreiben soll, wie viel Platz ich einnehmen kann. Bis ich mir erlaubte, es einfach zu tun, weil es mich erfüllt. Es braucht diese Orte für Kreative, an denen sie ganz sie selbst sein dürfen. Habt ihr das Video über freischaffende Autor*innen gesehen? Was Jan Böhmermann dort erzählt, ist die Realität. Obwohl es viele Inhalte ohne freie Autor*innen nicht gäbe, bekommen wir keine Honorare von denen man leben könnte und vor allem wird es über die Jahre nicht mehr. Wir werden von Text zu Text besser und schneller und witziger, doch dafür gibt es nicht mehr Geld, sondern mehr zu tun. Darum sind Plattformen wie Steady und Patreon essenziell, um als Schriftstellerin nicht zu vergessen, weshalb man mit dem Schreiben mal angefangen hat, und um etwas unabhängiger sein zu können.

Mein liebes Gespenst, denn was wäre die Welt ohne freie Kunst? Ohne Texte und ohne die Menschen, die sich trauen, ihr Herz zu öffnen und andere darin lesen zu lassen?


Soundtrack zum Gespensterbrief #4: Motionless in White | Masterpiece

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