Alexa Feser – Deine Freunde. Neuer Song der Sängerin ist ein Loblied auf die Freund*innenschaft. Und ich bin dabei! 🐺

Es ist Drehwoche in Lüneburg. Gemeinsam mit meinen Freund*innen Maddi alias Dog Martens, Morton alias Jaimy Fox, Tom I und Tom II alias Ice Ice Baby darf ich Statistin in Alexa Fesers neuem Musikvideo sein und bin ein Wolf. Die Jaquline Wolfskin nämlich. Meine BFF Kathi Herbstseele Schmidt ist beste Kamerafrau. Ich schreibe während der Woche Tagebuch und skizziere meine Erfahrungen. A-woo! Los gehts.

Montag
Wir basteln Masken, sprechen über Kostüme und Planen die kommenden Tage. Es ist halb eins in der Nacht, als mir einfällt, dass ich am nächsten Morgen einen Termin habe, bei dem ich die erste F*ck up Night der Stadt besprechen werde. What the actual Eff. Ich bitte M. um Hilfe, meine Maske zu beenden und fahre nach Hause. Dort so hyped, dass ich erst um kurz nach drei einschlafe.

Heute bin ich 50% Musik, 50% Wolf. Ihr?

Dienstag
Müde, aber in bester Gesellschaft. Mit zwei Kolleginnen spreche ich über die F*ck up Night, bei der ich auch selbst von mir und Scheitern in der Kunst erzählen werde. Dann nach Hause und Street Style-Klamotten für den Dreh anziehen. Weiter. Im Skate Park ist es ruhig. Eine Frau übt Parcours, drei Leute skaten. Ich stelle mich auf Morts Board und werde von ihm über den Platz gezogen. Meine Körpermitte ist vorhanden, meine Knie sind wackelig. Wir setzen unsere Masken auf, drehen Stills, tanzen, gehen, hängen rum. Es macht mir alles schrecklich großen Spaß und ich bin verliebt in uns. Die Parcours-Anlage fasziniert mich. Ich ziehe mich an einer Stange hoch und weiß nicht weiter. Am Nachmittag sind wir fertig. Ich fahre nach Hause und arbeite bis es Abend wird noch für das Kulturzentrum Düne.

Wind weht der Nacht entgegen, Wölfe flüstern. Auftritt: eine müde Frau

(Foto: K. Schmidt)

Mittwoch
Den Tag über frei, wir warten auf die Dunkelheit. Ich verbringe meine Zeit damit, zu schreiben. Die Gespensterbriefe haben ihr erstes Ziel geknackt. Ich freue mich total. Heute wollen wir eine Partyszene auf dem Dach drehen, wie passend.

Heute Party auf dem Dach, ich tanze mit Tränen in den Augen. (Ultra windig)

Es ist Abend geworden. Wir treffen uns alle in der großen gemütlichen WG. Ich trage ein Kleid von Susie Cave und liebe es. Auf dem Dach ist es zu dunkel, wir verschmelzen mit der Nacht. Egal, welches Licht zum Ausleuchten genutzt wird, meine Maske verschwindet ganz. Wir gehen raus und finden eine perfekte Gasse in der Innenstadt. An ihrem Ende befindet sich ein Antiquariat, was will man mehr. Alexa nennt sie „krasse Gasse“, wir drehen 10, 12, 13 Takes und gehen im Licht der Straßenlaternen auf.

Donnerstag
Es ist früh, wir fahren durch den klaren warmen Morgen zu einer Flussbar. An einem anderen Ort hieße das Lokal ‚Strandbar‘, aber hier gibt es kein Meer. Die Location wird ausgecheckt und im perfekten Gelb der Stahlträger und dem Gold der Sonne tanzen wir. Enten ziehen vorbei, ein Jogger sieht uns zu. Es ist der schönste Ort bisher, weil die Farben knallen und wir aussehen wie verlorene Kinder aus Nimmerland.

Dachte Drehwoche wäre easy. Morgens ein bisschen tanzen, nicken, aussehen und am Nachmittag Brotjob und abends schreiben. Turns out, ich bin einfach mittags kaputt und kann nur noch Lakritz essen und schlafen gehen.

Freitag
Wir drehen auf dem Gelände meiner Alma Mater. Es freut mich, diesen Ort inzwischen als Kulturschaffende oder Zuschauerin zu besuchen. Es verschafft mir die nötige Distanz, um wieder gerne Fachtexte zu lesen.
Heute haben wir so viel Zeit, dass wir uns sogar eine richtige Pause nehmen, in der wir uns aufwärmen können. Nachdem wir auf dem Uni-Gelände fertig sind, ziehen wir in den Wald und suchen einen dunklen Spot, damit wir wieder und wieder und wieder einen Waldweg entlanggehen können, ohne uns dabei etwas zu brechen. Die Sicht unter den Masken ist echt eingeschränkt. Es klappt!

Wir küssen den Asphalt und streifen durch den Wald. Wir sind die Tiere, mit denen niemand rechnet.

Samstag
Frei.

Gruppenfoto vom Dreh. Vier tragen Tiermasken, Alexa nicht. Wir sehen zur Seite.
(Foto: K. Schmidt) Beachtet bitte auch den tollen pinken Sticker über dem Husky!

Sonntag
Es ist viel zu früh, wir hängen ein bisschen durch. In der Spielothek wurde seit Jahren nicht geraucht, doch das merkt man nicht, denn das Nikotin sitzt noch im zwei Meter dicken Teppich fest und wird bei jedem Schritt freigegeben. Die Hallenaufsicht hat uns für die Dauer des Drehs die Spielautomaten freigeschaltet. Es war verlockend, doch wir blieben professionell und haben jeder nur ein paar mal auf alle Knöpfe eingedrückt wie die Vollmondsüchtigen.

Heute bin ich 1 Wolf in einer Spielhalle, ich ziehe mal bunte Socken an. Wegen der Lichter.

It’s a wrap und hier ist das Video, liebe Freunde!

Bis bald
Eure Jaquline Wolfskin

Der 27. September – Ein besonderer Tag im Jahr

Es ist wieder soweit, der 27. September erinnert an den Tag im Jahr, an dem Schriftstellerin Christa Wolf ihr Leben so genau wie möglich beschrieben hat. Über vier Jahrzehne hat Wolf einen persönlichen Blick auf ihr Leben und das politische Geschehen notiert und damit ein Zeitzeugnis geschaffen. Die Autorinnen Susanne Hösel und Christina Müller veranstalten jährlich das Tagebuchprojekt Ein Tag im Jahr und laden schreibende Menschen ein, ihren Beitrag für das Projekt zu leisten. Auch in diesem Jahr darf ich dabei sein und freue mich außerordentlich.

Was mich in diesem Jahr besonders berührt:
Schon 2022 hielten mir nahestehende Menschen ihren Tag fest und ich war ultrahappy, meinen Text neben ihren zu sehen. Die Texte von Michael Held, Sonja Seidl und Morton Tartas (💜) beeinflussen auch mein Schreiben, weil sie Teil meines Lebens sind. 2023 schreiben nun zwei Autor*innen aus dem Lüneburger Wortkollektiv mit. Kathi Schmidt und Lukas Kretschmer sind meine Freunde und unsere Wege kreuzen sich so oft es geht. Nun auch dort.

27. September 2023 – von Jess Tartas

Als mein Smartphone vom Nachttisch fällt, wache ich auf. Ich spüre in mich hinein. Noch tut nichts weh. Gestern stieß ich mich, es wird eine Prellung sein, denn Auftreten oder mit den Zehen wackeln schmerzt. Noch aber fühle ich nichts, meine Boten ruhen. Dieser Moment zwischen Schlafen und Wachen ist ein Geschenk. Ich scrolle mich durch Bluesky. Nachfaven geht nun wieder. Dann stehe ich auf.

Der Schmetterling, der gestern in meine Schreibtischschublade flog, ist dort noch immer. Er hängt da wie eine Fledermaus und senkt seinen Herzschlag, damit er den Winter entspannt verbringen kann. Problem: Er wird da nicht bis zum Frühjahr schlafen können. Noch ist es hier kühl, aber irgendwann beheizen wir diesen Raum. Ab einer Temperatur von etwa 12 Grad wird er wach, findet jedoch nichts zu fressen. Ich werde ihn noch eine Weile schlummern lassen, aber irgendwann muss er in eine kühlere Ecke umziehen. Vielleicht fliegt er aber auch die Tage einfach wieder weg.

Morton hat arte Tracks geschaut. Es ging in der Folge um Russland und das Leben zu Zeiten des Kriegs. Ich möchte das gerade nicht hören, er erzählt mir nichts. Das ist sehr achtsam. Mein Fuß beginnt zu schmerzen. Ich will schreiben und öffne meinen Newsletter.

Mein Vater ruft an, wir unterhalten uns über seinen Filmclub und legen bald auf. Die Sonne heizt die Wohnung, dem Schmetterling geht es gut.

Mort und ich planen unseren Herbsturlaub. Ich rufe dafür meine Kollegin an, die ich für fünf Wochen nicht sprechen konnte. Ich freue mich, sie zu hören. Ich kann locker für zwei Wochen wegbleiben. In mir sitzt der Wunsch, woanders zu sein. Nur wohin ich möchte, das weiß ich noch nicht.

Ich packe meinen Rucksack und fahre zu Kathi. In ihrer Küche hält sie mir ihr Smartphone hin, ich soll mir einen Kaffee aussuchen, den wir im Coffeeshop abholen können. Vegan Iced Vanilla Coffee mit Sahne und Karamelldingsi zum Mitnehmen, bitte. Wir machen einen Schlenker und sitzen wieder in der Küche. Dann schreiben wir bis wir Hunger bekommen. Kathi zaubert magische Cannelloni, ich esse sie zum ersten Mal in meinem Leben und wünsche mir einen Magen ohne Boden. Morton kommt dazu, wir lachen und schreiben und snacken und weil ich mir einen ewigen Magen wünsche, sprechen wir über Kuhmägen und denken uns ein Konzept für ein Lokal mit dem Namen ‚Pansen‘ aus. Jeder Dancefloor ist ein Kuhmagen, es gibt nur Milchgetränke, es wird nicht gekotzt, sondern wiedergekäut und wer im Kuhkostüm kommt, darf kostenfrei rein. Wir lachen und schreiben bis wir nicht mehr können.

Die Nacht ist lauwarm. Vor der Spielothek nimmt uns ein Mann ins Visier und wirft uns ein paar Worte hin. Wir wechseln die Straßenseite, der Mann geht weiter und legt sich mit dem Mond an. Auf dem Weg zum Marktplatz sehen wir ein Auto an einer Fahrradfahrerin vorbeisausen und hören ein lautes Scheppern. Ich denke sofort, dass sie angefahren wurde und wir beeilen uns. Ich präge mir die Kennzeichennummer des davonfahrenden Autos ein. Bei der Frau angekommen, helfen bereits einige andere. Darunter ist eine Bekannte von mir, ich freue mich, sie zu sehen. Es stellt sich heraus, dass die Frau gestürzt ist, weil ihr Lenkrad locker saß. Morton vergewissert sich, dass sie orientiert ist und alle ziehen weiter.

In der Senke zwischen Berg und See herrscht eine kühle Atmosphäre. Zwischen den Feldern ist es dunkel und ruhig, einzelne Fledermäuse umkreisen die wenigen Laternen. Zu Hause wird mir klar, wie früh ich am nächsten Morgen aufstehen muss und will mich mit dem Versenden des Tagebucheintrags beeilen. Doch seitdem der Schmetterling in meiner Schublade schläft, überkommen mich Erinnerungen. Es duftet nach warmer Holzverkleidung und dem kühlen Stein der Blumenfensterbank. Früher flogen oft Schmetterlinge im Arbeitszimmer meiner Oma umher. Es war für uns normal, sie zu sehen und zu begleiten. Einmal habe ich einen ‚ausgebrütet‘ und im Frühjahr freigelassen.

Auf Bluesky lese ich, auf dem Klimakongress in Hamburg hieß es, die Menschheit hätte die Chance auf Stabilisierung des Weltklimas verpasst. In einem Zeit-Artikel dazu steht, wenn wir uns auf die Folgen des Klimawandels einstellen, kann Deutschland auch in 50 oder 100 Jahren noch lebenswert sein.

Downer. Ich sehe nach, ob der Schmetterling noch schläft. Ja. Dann gehe ich selbst zu Bett und halte den Gedanken an den kleinen Impact, den ich haben könnte, fest wie ein Kissen und schlafe bald ein.

Jürgen Kluckert ist verstorben – ein kleiner persönlicher Nachruf

Als Stimme von Benjamin Blümchen prägte Jürgen Kluckert die Kindheit von Millionen Hörspielfans. Jetzt ist der Schauspieler, Synchron- und Hörspielsprecher am 16.8. verstorben. 💔

Immer wenn ich für Benjamin schreibe, dann ist seine Stimme mit dabei. 😢

Als Sprecher gab Kluckert unter anderem Morgan Freeman und Chuck Norris einen unverkennbaren Klang. Als er 1994 die Stelle des verstorbenen Edgar Ott übernahm und fortan Benjamin Blümchen sprach, sicherte er sich einen festen Platz in den Köpfen und Herzen seiner Zuhörer*innen.
Ihm selbst war nach eigener Aussage die Rolle des sprechenden Elefanten auch seine liebste. Er beschrieb seine Arbeit nicht etwa als einen Job, sondern als sein Glück. 🥲

Danke für die vielen Jahre schönstes Törööö!

#BöseBowle und eine #LiebeLesung in Berlin

🤍 Post aus dem Frohmann-Verlag 🥀
Am 2.9. findet die legendäre GartyParty statt. Es wird wieder #BöseBowle geben und zum ersten Mal die #LiebeLesung stattfinden. SCHWARTZ und ich werden aus unserem gemeinsamen Buch lesen, das alsbald demnächst in ganz naher Zukunft im Frohmann Verlag erscheinen wird. Es wird brutal lieb mit uns. Ich freue mich, ein paar von euch dort zu sehen. 🖤

Gespensterbrief #13 – Nur Mut!

Mein liebes Gespenst,

ich sitze an einem alten Tisch in einem kleinen Holzhaus mit einem Fenster, dessen Glas, dünn wie Fingernägel, bei jedem Windhauch im Rahmen zittert. Wann zitterst du?

Auf der Plattform mit dem Vogel wird es immer ungemütlicher und wir müssen uns total abrackern, um noch von irgendwem gesehen zu werden. Dauernd bin ich froh, mich früh genug mit eigenen digitalen Räumen beschäftigt zu haben, so dass ich mich nun nicht komplett lost fühlen muss. Dennoch wünschte ich, ich hätte früher diesen Newsletter eingerichtet und mir diesen Schritt zugetraut. Es ist nämlich schön und tut nur selten weh. Bei dieser Sache hier geht es mir nicht nur darum, Kontakte zu halten und gelesen zu werden, sondern auch um Furcht und Mut. Ständig fürchte ich mich. Ich fürchte mich davor, mich an den Tisch zu setzen, die Mails zu checken, eine herzlose Absage zu erhalten, einen Text zu versenden, zu antworten, zu fragen, eine Rückmeldung zu bekommen, nie wieder angesehen zu werden.
Ich lese viele Bücher von Frauen, die darüber schreiben, wie sie gekämpft und gelitten haben, immer wieder am Patriarchat vorbei mussten, doch das ließ sie nicht. Stattdessen sollten sie sich lieber setzen und was anderes machen. Also machten sie was anderes, zum Beispiel eine Lehre zur Bürogehilfin und dann haben sie eben das, was sie eigentlich tun wollten, heimlich gemacht. Und dann fanden sie, nach jahrelangem Herumgeeiere doch einen Weg. Aber erst, nachdem sie Verbündete fanden, die jemanden kannten, der sie hineinschleusen konnte. Und dann waren zehn Jahre rum und erste Falten von tiefer Enttäuschung und Müdigkeit gruben sich ihnen in die Gesichter und gingen nicht mehr weg.

Zuletzt las ich Tove Ditlevsen – Kindheit, Jugend, Abhängigkeit und war tief berührt und sah darin auch: mich. Ich liebe sie dafür, dass sie geschrieben hat. Ich bedaure, dass sie nicht Kanon ist. Wo war sie, als ich 20 war? Ich hätte sie gebraucht.

Es kommt auf das Milieu an, darauf, wo man aufwächst und wie und manche bekommen als Kinder gesagt, sie könnten alles werden. Und sie machen dann später, was sie wollen und denken, es würde schon gut werden, denn ihr Urvertrauen sitzt so fest in ihrer Mitte, dass da nichts herankommen kann, was es zerstören oder gar berühren könnte. Es ist da. Sie bekommen Kinder, einfach weil es schön ist oder sich in ihrer Vorstellung vom Leben so gehört. Sie fahren in den Urlaub und pflegen Hobbys, sie gehen gern brunchen und haben jedes Wochenende etwas vor. Natürlich machen sie sich auch jede Menge Gedanken, aber vielleicht weinen sie dabei nicht so viel. Und sicher kann man all das auch tun, wenn die Startbedingungen nicht so rosig sind, es dauert nur alles viel viel länger und ist viel viel schwerer, als ohnehin schon.

Ein leichteres Herz für alle, die wissen, was gemeint ist.

Sagt mir, wovor fürchtet ihr euch inzwischen nicht mehr? Wie hat sich euer Verhältnis zur Furcht und zu dem, was euch ängstigte, verändert?

Die Tür öffnet sich und herein dringt ein Sonnenstrahl. Der Klimawandel mit seinem unendlich langen deprimierenden deutschen Winter macht, dass selbst ich den Frühling herbeisehne und verklatscht in der Sonne stehen bleibe, um kurz ihre Wärme zu genießen. Wenn es noch milder wird, beziehe ich vielleicht diese Hütte im haushohen Flieder, schreibe ein wenig, während das Fenster klappert und wenn die Tür sich öffnet, dann schließe ich sie nicht, sondern gehe raus.

Das Fenster zum Wald stand die ganze Nacht offen. Vögel nisten in der Kaffeemaschine, ein Igel schläft im Obstkorb. Grillenzirpen.

Dunst über dem Stoppelfeld. Der Wald pulsiert, ein Morgenmeer. Nebel hängt über den Teetassen. Ich gebe Zucker hinzu und löse mich mit den Kristallen auf.

Immer eine Entscheidung davon entfernt, diese Gesellschaft zu verlassen und im Wald unter Bäumen und Sträuchern zu leben.

Habt Sonne, lest, liebt und winkt den Ängsten doch mal aus der Ferne zu!

Jess


Dieser Gespensterbrief erschien zuerst auf steady. Wer kann, unterstützt dort meinen Newsletter, damit ich weiterhin kostenfrei Texte an alle versenden kann. 🖤🤍

Gespensterbrief #10 – von Stille und Schnee

Vom Schweigen und Fallen,
von Stille und Schnee.

Mein liebes Gespenst,

komm mit, wir springen über den Rand des Tages und sehen nach, wo die Stille herkommt. Wo sie sich aufhält, wenn sie an ihre Schatten denkt. Und dann setzen wir uns dazu.

Musstest du je schweigen?

Seit nunmehr drei Wochen war es still im Wald und in der Wohnung. Kein Wort hat meine Lippen passiert. Jedes weltvergessene Summen wurde mit einem inwendigen Steinschlag bestraft.

Meine Saiten sind entzündet, die Atmung portioniert. Natürliche Verknappung.

Aber nicht mein Schreiben, nicht dieser Brief, nicht der Hunger, den ich habe, sind aus. Wenn wir nicht sprechen können, dann brauchen wir Menschen, die zuhören können. Sprache ist viel mehr als eine Stimme.

Als es zu schneien begann, war das Zimmer, in dem wir Bilder malen und schlafen, zugedeckt und dunkel. Meine Ohren, ohnehin taub, waren in guter Gesellschaft, als die kleine Welt verpackt dalag. Es war der erste Tag nach einigen, an dem ich lachen konnte und rauswollte. Das Fenster ließ sich nur schwer öffnen, eine Lawine wurde losgetreten, Krähen riefen um Hilfe. Der Schwall an kalter Luft berührte meine Augen, meine Zähne, meine Zunge. Alles sah so anders und bekannt aus. Es gibt nichts auf der Welt, das mich schneller gern aufstehen lässt, als Schnee. Schade, dass es nur noch so selten schneit. Stehst du gerne auf?

Auf dem Weg in den Wald sah ich die umgestürzten Bäume schon von weitem. Die Pfade waren von dicht bewachsenen Ästen der Tannen versperrt, am Feld rutschte ich vom kleinen Hang ab und landete auf den Knien. Es war ein großartiges Gefühl und ein leises, mir fremdes Geräusch presste sich durch meine geflochtenen Stimmbänder. Ein Lachen.

Wann habe ich das letzte Mal so richtig gelacht? Und du?

Es ist diese Zeit, von der ich nicht mehr genau weiß, welcher Tag es war, weil ich keinen besonderen Tag zum Gedenken brauche, denn ich denke immerzu an dich. Und ich bin immer sehr dankbar dafür, wenn mich andere nicht daran erinnern und dann irgendwas erwarten. Blumen und ein Seufzen.

Es ist Freitag, ich bin in Liebe. Heute früh schimmerte meine Stimme kurz hindurch, ich begegnete mir selbst dabei und war erfreut. Hallo, guten Morgen, angenehm. Ich weiß, ich muss noch eine Weile schweigen und die Menschen müssen damit klarkommen, dass ich sie ansehe, nicke, mit den Augen lächle – Tyra Banks hat mir das Smizing früh genug beigebracht, als ich noch formbar war – und einige können das gut verstehen, andere wiederum beginnen zu schreien und wählen Begriffe, die ich in Unterhaltungen mit Dreijährigen nutze.

Heute bin ich also 40% Stille, 40% Sonne und 20% Text. Und du?


Dieser Artikel ist zuerst als Gespensterbrief auf Steady erschienen.

Inklusive Kulturarbeit – Radikale Mitgestaltung #InclusionMeans

Zum Welt-Down-Syndrom-Tag

Was ich in meinem ersten Jahr als Leitung eines inklusiven Kulturbetriebes gelernt habe: Inklusion gelingt besonders, wenn Menschen mit Behinderung von Anfang an mitgestalten. Bei uns in der Düne fing es bei der Namenwahl an und zieht sich nun bis zur Programmplanung und -gestaltung durch.
Gerade freue ich mich riesig, dass wir in diesem Jahr eine Frau mit Behinderung bezahlt beschäftigen können. Sie fühlt sich durch unsere Arbeit gesehen und bestärkt und traut sich zu, bei uns einen Kurs zu geben. Dass das passieren kann, weil es unser feines Projekt gibt, macht mich fast heulen vor Freude. Möglich macht das Aktion Mensch, die uns als Verbündete unterstützen. Weil wir aber leider nicht unendlich viel Geld haben, sind wir auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Das Programm, das bei uns jeden Wochentag stattfindet, ist im Team von drei fest arbeitenden Frauen nicht zu stemmen. Unsere Kulturveranstaltungen am Wochenende gehen oft bis spät abends. Wenn wir wollten, hätten wir nie frei.

Jede Hilfe ist willkommen und alle dürfen helfen. Menschen mit und ohne Behinderung wollen sich engagieren. Wir sorgen gezielt dafür, dass jede:r Ehrenamtliche:r offiziell gelistet wird und versichert ist. Das hat etwas mit den anderen sehen und Würdigung zu tun. Ob jemand ehrenamtlich da ist und für Stimmung sorgt oder Thekendienst macht oder hilft, die Bilder für die neue Ausstellung aufzuhängen, ist egal. Alles ist gleich hilfreich und jede:r hilft so, wie mensch kann.

Bemerkenswert ist dies: Ich muss immer wieder ansprechen und einladen, betonen, dass unsere Angebote barrierefrei sind. Und wenn es von uns noch nicht mitgedachte Bedarfe gibt, machen wir sie möglich. Ich muss dauernd wiederholen: Du bist willkommen.

Viele Menschen mit Behinderung gehen nicht davon aus und sind erstmal baff. Behinderung ist vieles: Sichtbar, unsichtbar, plötzlich da, langsam aufkommend, schichtunabhängig. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen haben andere Bedürfnisse, als Menschen im Rollstuhl/mit chronischer Erkrankung/im Spektrum/ohne Behinderung. Kommunikation ist notwendig. Ohne geht nichts. Aber wir alle wollen uns entfalten, gesehen werden, Spaß haben, das Kulturleben genießen und aktiv mitgestalten. Das eint uns und ist die Basis für alles. Weil wir gemerkt haben, dass manche Scheu haben, wenn wir den Inklusionsstempel auf etwas draufballern, tun wir das nur selten. Also machen wir unser Ding und leben Inklusion.

Und dann ist mal wieder Abend, eine Lesung findet statt. Das Haus ist voll, das Publikum gespannt. Und mittendrin ist ein Mensch im E-Rolli mit Assistenz und feiert hart und ein Mensch im Spektrum macht den Einlass und später noch den Kassenabschluss. Das ist die Welt, in der wir leben. Inklusion im Kulturbetrieb geht gut, wenn man immer wieder ins Gespräch geht, Verantwortung auch mal abgibt, sich immer wieder selbst hinterfragt und Menschen dort begleitet, wo es gewünscht wird. Gemeinsam offen sein, ohne Drama, in Ruhe planen und dann machen, das ist unser Motto. Kunst ist eine Universalerfahrung, jede:r soll sie erleben dürfen. *mic drop*

#InclusionMeans

Gespensterbrief #4

Seit einem Monat bin ich als Autorin auf Steady vertreten und schreibe dort Gespensterbriefe an den Zeitgeist. Ich bin überwältigt von der Resonanz. Von den Zuschriften, die ich bekomme und von den Menschen, die ich damit erreiche und wohl berühre. Es freut mich, dass sich andere in meinen Texten erkennen können.

Weil es ohne Crossposting heute irgendwie nicht mehr geht, gibt es hier auf meiner Webseite hin und wieder einige Auszüge oder Essenzen aus den Briefen. Auch in der Hoffnung, mehr Leser*innen zu erreichen. Texte leben vom Gelesenwerden und das geht nur, indem man sie überall liegen lässt, verteilt, immer wieder auf sie aufmerksam macht. Und schließlich leben auch Autorinnen vom Gelesenwerden. Den Menschen, die mir ihr Vertrauen schenken und meine Texte teilen und mir somit auch Arbeit abnehmen, gebührt mein umfänglicher Dank. Ohne euch wäre ich nicht ganz. Ihr seid mir eine große Hilfe.


Erstmal die krummen Gedanken ausstrecken

Mein liebes Gespenst,

ich möchte einmal in einem Haus leben, aus dessen Küche man in den Garten gelangt. Ich möchte auf der Fensterbank hinter der Spüle Kräutertöpfe stehen haben und an einem Regalbrett an der Wand hängen dickbäuchige bunte Kaffeetassen. Ich möchte einen großen Küchentisch haben, an dem alle meine Freund*innen Platz haben. Sie besuchen mich regelmäßig und gerne, sie fühlen sich bei mir willkommen, denn ich backe perfekten veganen Kuchen und meine Zähne sind gerade. Eines Tages wird jemand eine Katze erfunden haben, die niemals stirbt. Sie lebt bei mir und meinem Mann und unseren drei Kindern. 

Meine Freund*innen stehen mir nahe und sie wissen, wie ich wirklich bin. Wenn in meinem Zimmer – das für mich allein – das Licht ausgeschaltet, aber die Musik eingeschaltet ist, dann kommen sie nicht hinein. Wir teilen gemeinsame Träume und Wünsche und irgendwann werden wir zusammen auf einem Resthof leben und uns umeinander kümmern, wenn wir alt geworden sind. Unsere Kinder sind unterwegs, sie müssen das nicht tun, sie haben ihr Leben, wir haben sie lieb.

Bis es soweit ist, feiern wir Feste, nehmen manchmal Drogen und alles läuft ganz kontrolliert unkontrolliert. Sobald es dunkel wird, ist immer etwas lauwarme Pizza im Ofen und der Soundtrack zur Nacht wurde vom Mond kuratiert. Meine Arbeit erfüllt mich, ich mache nicht zu viel und sobald ich eine Aufgabe erledigt habe, denke ich erst wieder an die nächste, wenn es an der Zeit dafür ist. Hauptsächlich schreibe ich Bücher und kurze Geschichten und traue mich, jedes Thema anzugehen, das mich interessiert. Denn ich weiß, es wird die Richtigen erreichen.

Kannst du mich verstehen?

In ihren Augen die leise Bitte um ein Leuchten
Manche Erinnerung, wie in Nebel eingekocht
Jeden Tag ein kleiner Mord am Kind, das man einst war

Wie bleibt man zuversichtlich in einer Welt, die einem anders versprochen wurde?

In den vergangenen Monaten habe ich einige Menschen näher kennenlernen dürfen, die mich immer wieder sehr berühren. Mein Brustkorb ist offen, sie küssen mein Herz. Ich lasse sie. 

Durch offene Herzen zieht hin und wieder der heftigste Wind.

Es ist gerade alles sehr viel. Sogar die schönen Dinge sind viel. Meine Gefühle für die Welt, hören die irgendwann mal auf? Es ist diese garstige Empfindsamkeit, die mich davon abhält, jetzt Kekse zu backen wie alle anderen auch.

Durch das kleine Fenster im Dach dringt ein grünes Rauschen. Ich rolle mich ein, die tote Katze kommt und streichelt mich, erzählt von denen, die ich vermisse.

Sie sind, was sie früher waren, schreibt mir Frau S. auf Twitter. Ja. Das ist wahr. Ich erkenne die Vermissten in meinen Handlungen und manchmal stelle ich mir vor, was sie wohl sagen würden. Ich hätte sie gerne weiter mit auf meine Reise genommen.

Im Juli besuchte ich eine Gartenparty in Berlin. Dort traf ich auf Menschen, die mir was bedeuten und saß einige Stunden mit Maike zusammen, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie hat meinen Kompass für Menschen neu kalibriert.

Mein liebes Gespenst, wie bleibt man sich verbunden?

Ich danke allen, die mich unterstützen, die abonnieren und dies teilen. 🧡 Mit diesem Newsletter erfülle ich mir einen jahrelangen Wunsch. Ich wusste lange nicht, worüber ich schreiben soll, wie viel Platz ich einnehmen kann. Bis ich mir erlaubte, es einfach zu tun, weil es mich erfüllt. Es braucht diese Orte für Kreative, an denen sie ganz sie selbst sein dürfen. Habt ihr das Video über freischaffende Autor*innen gesehen? Was Jan Böhmermann dort erzählt, ist die Realität. Obwohl es viele Inhalte ohne freie Autor*innen nicht gäbe, bekommen wir keine Honorare von denen man leben könnte und vor allem wird es über die Jahre nicht mehr. Wir werden von Text zu Text besser und schneller und witziger, doch dafür gibt es nicht mehr Geld, sondern mehr zu tun. Darum sind Plattformen wie Steady und Patreon essenziell, um als Schriftstellerin nicht zu vergessen, weshalb man mit dem Schreiben mal angefangen hat, und um etwas unabhängiger sein zu können.

Mein liebes Gespenst, denn was wäre die Welt ohne freie Kunst? Ohne Texte und ohne die Menschen, die sich trauen, ihr Herz zu öffnen und andere darin lesen zu lassen?


Soundtrack zum Gespensterbrief #4: Motionless in White | Masterpiece