Gespensterbrief #10 – von Stille und Schnee

Vom Schweigen und Fallen,
von Stille und Schnee.

Mein liebes Gespenst,

komm mit, wir springen über den Rand des Tages und sehen nach, wo die Stille herkommt. Wo sie sich aufhält, wenn sie an ihre Schatten denkt. Und dann setzen wir uns dazu.

Musstest du je schweigen?

Seit nunmehr drei Wochen war es still im Wald und in der Wohnung. Kein Wort hat meine Lippen passiert. Jedes weltvergessene Summen wurde mit einem inwendigen Steinschlag bestraft.

Meine Saiten sind entzündet, die Atmung portioniert. Natürliche Verknappung.

Aber nicht mein Schreiben, nicht dieser Brief, nicht der Hunger, den ich habe, sind aus. Wenn wir nicht sprechen können, dann brauchen wir Menschen, die zuhören können. Sprache ist viel mehr als eine Stimme.

Als es zu schneien begann, war das Zimmer, in dem wir Bilder malen und schlafen, zugedeckt und dunkel. Meine Ohren, ohnehin taub, waren in guter Gesellschaft, als die kleine Welt verpackt dalag. Es war der erste Tag nach einigen, an dem ich lachen konnte und rauswollte. Das Fenster ließ sich nur schwer öffnen, eine Lawine wurde losgetreten, Krähen riefen um Hilfe. Der Schwall an kalter Luft berührte meine Augen, meine Zähne, meine Zunge. Alles sah so anders und bekannt aus. Es gibt nichts auf der Welt, das mich schneller gern aufstehen lässt, als Schnee. Schade, dass es nur noch so selten schneit. Stehst du gerne auf?

Auf dem Weg in den Wald sah ich die umgestürzten Bäume schon von weitem. Die Pfade waren von dicht bewachsenen Ästen der Tannen versperrt, am Feld rutschte ich vom kleinen Hang ab und landete auf den Knien. Es war ein großartiges Gefühl und ein leises, mir fremdes Geräusch presste sich durch meine geflochtenen Stimmbänder. Ein Lachen.

Wann habe ich das letzte Mal so richtig gelacht? Und du?

Es ist diese Zeit, von der ich nicht mehr genau weiß, welcher Tag es war, weil ich keinen besonderen Tag zum Gedenken brauche, denn ich denke immerzu an dich. Und ich bin immer sehr dankbar dafür, wenn mich andere nicht daran erinnern und dann irgendwas erwarten. Blumen und ein Seufzen.

Es ist Freitag, ich bin in Liebe. Heute früh schimmerte meine Stimme kurz hindurch, ich begegnete mir selbst dabei und war erfreut. Hallo, guten Morgen, angenehm. Ich weiß, ich muss noch eine Weile schweigen und die Menschen müssen damit klarkommen, dass ich sie ansehe, nicke, mit den Augen lächle – Tyra Banks hat mir das Smizing früh genug beigebracht, als ich noch formbar war – und einige können das gut verstehen, andere wiederum beginnen zu schreien und wählen Begriffe, die ich in Unterhaltungen mit Dreijährigen nutze.

Heute bin ich also 40% Stille, 40% Sonne und 20% Text. Und du?


Dieser Artikel ist zuerst als Gespensterbrief auf Steady erschienen.

Inklusive Kulturarbeit – Radikale Mitgestaltung #InclusionMeans

Zum Welt-Down-Syndrom-Tag

Was ich in meinem ersten Jahr als Leitung eines inklusiven Kulturbetriebes gelernt habe: Inklusion gelingt besonders, wenn Menschen mit Behinderung von Anfang an mitgestalten. Bei uns in der Düne fing es bei der Namenwahl an und zieht sich nun bis zur Programmplanung und -gestaltung durch.
Gerade freue ich mich riesig, dass wir in diesem Jahr eine Frau mit Behinderung bezahlt beschäftigen können. Sie fühlt sich durch unsere Arbeit gesehen und bestärkt und traut sich zu, bei uns einen Kurs zu geben. Dass das passieren kann, weil es unser feines Projekt gibt, macht mich fast heulen vor Freude. Möglich macht das Aktion Mensch, die uns als Verbündete unterstützen. Weil wir aber leider nicht unendlich viel Geld haben, sind wir auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Das Programm, das bei uns jeden Wochentag stattfindet, ist im Team von drei fest arbeitenden Frauen nicht zu stemmen. Unsere Kulturveranstaltungen am Wochenende gehen oft bis spät abends. Wenn wir wollten, hätten wir nie frei.

Jede Hilfe ist willkommen und alle dürfen helfen. Menschen mit und ohne Behinderung wollen sich engagieren. Wir sorgen gezielt dafür, dass jede:r Ehrenamtliche:r offiziell gelistet wird und versichert ist. Das hat etwas mit den anderen sehen und Würdigung zu tun. Ob jemand ehrenamtlich da ist und für Stimmung sorgt oder Thekendienst macht oder hilft, die Bilder für die neue Ausstellung aufzuhängen, ist egal. Alles ist gleich hilfreich und jede:r hilft so, wie mensch kann.

Bemerkenswert ist dies: Ich muss immer wieder ansprechen und einladen, betonen, dass unsere Angebote barrierefrei sind. Und wenn es von uns noch nicht mitgedachte Bedarfe gibt, machen wir sie möglich. Ich muss dauernd wiederholen: Du bist willkommen.

Viele Menschen mit Behinderung gehen nicht davon aus und sind erstmal baff. Behinderung ist vieles: Sichtbar, unsichtbar, plötzlich da, langsam aufkommend, schichtunabhängig. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen haben andere Bedürfnisse, als Menschen im Rollstuhl/mit chronischer Erkrankung/im Spektrum/ohne Behinderung. Kommunikation ist notwendig. Ohne geht nichts. Aber wir alle wollen uns entfalten, gesehen werden, Spaß haben, das Kulturleben genießen und aktiv mitgestalten. Das eint uns und ist die Basis für alles. Weil wir gemerkt haben, dass manche Scheu haben, wenn wir den Inklusionsstempel auf etwas draufballern, tun wir das nur selten. Also machen wir unser Ding und leben Inklusion.

Und dann ist mal wieder Abend, eine Lesung findet statt. Das Haus ist voll, das Publikum gespannt. Und mittendrin ist ein Mensch im E-Rolli mit Assistenz und feiert hart und ein Mensch im Spektrum macht den Einlass und später noch den Kassenabschluss. Das ist die Welt, in der wir leben. Inklusion im Kulturbetrieb geht gut, wenn man immer wieder ins Gespräch geht, Verantwortung auch mal abgibt, sich immer wieder selbst hinterfragt und Menschen dort begleitet, wo es gewünscht wird. Gemeinsam offen sein, ohne Drama, in Ruhe planen und dann machen, das ist unser Motto. Kunst ist eine Universalerfahrung, jede:r soll sie erleben dürfen. *mic drop*

#InclusionMeans

Gespensterbrief #4

Seit einem Monat bin ich als Autorin auf Steady vertreten und schreibe dort Gespensterbriefe an den Zeitgeist. Ich bin überwältigt von der Resonanz. Von den Zuschriften, die ich bekomme und von den Menschen, die ich damit erreiche und wohl berühre. Es freut mich, dass sich andere in meinen Texten erkennen können.

Weil es ohne Crossposting heute irgendwie nicht mehr geht, gibt es hier auf meiner Webseite hin und wieder einige Auszüge oder Essenzen aus den Briefen. Auch in der Hoffnung, mehr Leser*innen zu erreichen. Texte leben vom Gelesenwerden und das geht nur, indem man sie überall liegen lässt, verteilt, immer wieder auf sie aufmerksam macht. Und schließlich leben auch Autorinnen vom Gelesenwerden. Den Menschen, die mir ihr Vertrauen schenken und meine Texte teilen und mir somit auch Arbeit abnehmen, gebührt mein umfänglicher Dank. Ohne euch wäre ich nicht ganz. Ihr seid mir eine große Hilfe.


Erstmal die krummen Gedanken ausstrecken

Mein liebes Gespenst,

ich möchte einmal in einem Haus leben, aus dessen Küche man in den Garten gelangt. Ich möchte auf der Fensterbank hinter der Spüle Kräutertöpfe stehen haben und an einem Regalbrett an der Wand hängen dickbäuchige bunte Kaffeetassen. Ich möchte einen großen Küchentisch haben, an dem alle meine Freund*innen Platz haben. Sie besuchen mich regelmäßig und gerne, sie fühlen sich bei mir willkommen, denn ich backe perfekten veganen Kuchen und meine Zähne sind gerade. Eines Tages wird jemand eine Katze erfunden haben, die niemals stirbt. Sie lebt bei mir und meinem Mann und unseren drei Kindern. 

Meine Freund*innen stehen mir nahe und sie wissen, wie ich wirklich bin. Wenn in meinem Zimmer – das für mich allein – das Licht ausgeschaltet, aber die Musik eingeschaltet ist, dann kommen sie nicht hinein. Wir teilen gemeinsame Träume und Wünsche und irgendwann werden wir zusammen auf einem Resthof leben und uns umeinander kümmern, wenn wir alt geworden sind. Unsere Kinder sind unterwegs, sie müssen das nicht tun, sie haben ihr Leben, wir haben sie lieb.

Bis es soweit ist, feiern wir Feste, nehmen manchmal Drogen und alles läuft ganz kontrolliert unkontrolliert. Sobald es dunkel wird, ist immer etwas lauwarme Pizza im Ofen und der Soundtrack zur Nacht wurde vom Mond kuratiert. Meine Arbeit erfüllt mich, ich mache nicht zu viel und sobald ich eine Aufgabe erledigt habe, denke ich erst wieder an die nächste, wenn es an der Zeit dafür ist. Hauptsächlich schreibe ich Bücher und kurze Geschichten und traue mich, jedes Thema anzugehen, das mich interessiert. Denn ich weiß, es wird die Richtigen erreichen.

Kannst du mich verstehen?

In ihren Augen die leise Bitte um ein Leuchten
Manche Erinnerung, wie in Nebel eingekocht
Jeden Tag ein kleiner Mord am Kind, das man einst war

Wie bleibt man zuversichtlich in einer Welt, die einem anders versprochen wurde?

In den vergangenen Monaten habe ich einige Menschen näher kennenlernen dürfen, die mich immer wieder sehr berühren. Mein Brustkorb ist offen, sie küssen mein Herz. Ich lasse sie. 

Durch offene Herzen zieht hin und wieder der heftigste Wind.

Es ist gerade alles sehr viel. Sogar die schönen Dinge sind viel. Meine Gefühle für die Welt, hören die irgendwann mal auf? Es ist diese garstige Empfindsamkeit, die mich davon abhält, jetzt Kekse zu backen wie alle anderen auch.

Durch das kleine Fenster im Dach dringt ein grünes Rauschen. Ich rolle mich ein, die tote Katze kommt und streichelt mich, erzählt von denen, die ich vermisse.

Sie sind, was sie früher waren, schreibt mir Frau S. auf Twitter. Ja. Das ist wahr. Ich erkenne die Vermissten in meinen Handlungen und manchmal stelle ich mir vor, was sie wohl sagen würden. Ich hätte sie gerne weiter mit auf meine Reise genommen.

Im Juli besuchte ich eine Gartenparty in Berlin. Dort traf ich auf Menschen, die mir was bedeuten und saß einige Stunden mit Maike zusammen, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie hat meinen Kompass für Menschen neu kalibriert.

Mein liebes Gespenst, wie bleibt man sich verbunden?

Ich danke allen, die mich unterstützen, die abonnieren und dies teilen. 🧡 Mit diesem Newsletter erfülle ich mir einen jahrelangen Wunsch. Ich wusste lange nicht, worüber ich schreiben soll, wie viel Platz ich einnehmen kann. Bis ich mir erlaubte, es einfach zu tun, weil es mich erfüllt. Es braucht diese Orte für Kreative, an denen sie ganz sie selbst sein dürfen. Habt ihr das Video über freischaffende Autor*innen gesehen? Was Jan Böhmermann dort erzählt, ist die Realität. Obwohl es viele Inhalte ohne freie Autor*innen nicht gäbe, bekommen wir keine Honorare von denen man leben könnte und vor allem wird es über die Jahre nicht mehr. Wir werden von Text zu Text besser und schneller und witziger, doch dafür gibt es nicht mehr Geld, sondern mehr zu tun. Darum sind Plattformen wie Steady und Patreon essenziell, um als Schriftstellerin nicht zu vergessen, weshalb man mit dem Schreiben mal angefangen hat, und um etwas unabhängiger sein zu können.

Mein liebes Gespenst, denn was wäre die Welt ohne freie Kunst? Ohne Texte und ohne die Menschen, die sich trauen, ihr Herz zu öffnen und andere darin lesen zu lassen?


Soundtrack zum Gespensterbrief #4: Motionless in White | Masterpiece

Wortkollektiven und Höhen – Lesung am Freitag, den 11.11. in der DÜNE

Wortkollektiven und Höhen. Das ist ein Wortspiel, bei dem man zweimal drüberlesen und es vielleicht laut aussprechen muss. Die Schreibgruppe Wortkollektiv lädt zu einem herbstlichen Abend voller Geschichten, Gedichte, Erzählungen und märchenhafter Texte in das Bildungs- und Kulturzentrum DÜNE ein.

Das Wortkollektiv lebt von Vielfalt

Seit dem Sommer dieses Jahres trifft sich die inklusive Schreibgruppe einmal in der Woche und tüftelt in geselliger Runde an eigenen Texten. Dabei sind die Geschichten so vielfältig wie die Mitglieder der Gruppe. Das Besondere am Wortkollektiv: Es ist wirklich für alle da. Menschen jeden Alters, ob mit oder ohne Behinderung und ganz egal, mit welcher Vorerfahrung, alle sind willkommen.

Inklusiv schreiben

Das passt gut zum Programm der DÜNE. Der Kulturtreff ist ein zukunftsgerichteter und moderner Treffpunkt, der die Vision von einer inklusiven Welt lebt. Menschen mit und ohne Behinderung geben und besuchen Veranstaltungen, schmieden Ideen für Partys und Workshops oder treffen sich einfach nur zum Plaudern. Möglich macht das neben den vielen tollen Menschen auch eine Förderung von Aktion Mensch und die enge Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg.

Lesung diesen Freitag

Was die Autorinnen und Autoren des Wortkollektivs im letzten halben Jahr geschrieben haben, präsentieren sie am Freitag, den 11.11. ab 19 Uhr in der DÜNE (Am Sande 27). Begleitet wird die Lesung von Guda & Guitar, die stimmungsvolle Musik machen. Der Eintritt ist frei. Um weiterhin Kunst zu ermöglichen, freut sich die Gruppe über Spenden. Darüber hinaus stellt das Wortkollektiv die eigenen Texte in der DÜNE aus. Die Ausstellung ist noch bis Januar zu bewundern.

Epilog

Wer mitschreiben möchte, ist herzlich eingeladen, das Wortkollektiv zu besuchen. Die Gruppe trifft sich immer montags um 19 Uhr in der Düne.

Gespensterbrief #1 – Mein Newsletter ist draußen

Im ersten Gespensterbrief an den Zeitgeist geht es um das Anfangen, das Schreiben, Konzerte, Raum einnehmen und ein bisschen um Liebe.


Hallo, Gespensterfreund*innen,

Tage, Wochen, Monate, Jahre habe ich darüber nachgedacht und nun ist es soweit: Mein erster Newsletter ist da! Gespensterbriefe an den Zeitgeist ist ein literarischer Newsletter mit Gespenstern und Alltagsgeschichten über Schreiben, Kulturarbeit und Poesie.
Ich freue mich, wenn ihr abonniert, unterstützt und weitersagt. Ich danke vom Herzen schon allen Leser*innen und Unterstützer*innen, die bereits da sind und mich ermutigt haben, nun loszulegen. 🖤

Gespensterbriefe an den Zeitgeist

Ein Tag im Jahr

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„Einen Tag im Jahr hat Christa Wolf über Jahrzehnte hinweg in allen Details festgehalten, den 27. September. Ihre gesammelten Protokolle sind längst als Buch erschienen. Wir, Susanne Hösel und Christina Müller, wollen dieses Projekt zusammen mit anderen Autor_innen in die Gegenwart holen und weiterschreiben. Einmal im Jahr, am 27. September, schauen wir uns einen Tag unseres Lebens so genau wie möglich an. Und nächstes Jahr kommen wir zurück und machen weiter.“

Projektbeschreibung von Ein Tag im Jahr

Es ist der 27. September 2022 und ich bin mit dabei. Wie sehr ich mich freue. Ich habe den Tag aufgezeichnet und nun ist er auf der Projektseite erschienen.
Was mich glücklich macht: Mein Mann hat auch einen Tagebucheintrag geschrieben und manchmal begegnen wir einander im Text.

Hier geht es zu meinem Tagebucheintrag:
Mein liebes Gespenst,
Mein liebes Tagebuch,

Künstliche Intelligenz ̶v̶̶s̶ und Kunst

„Kunst ist Entwicklung, denn Kunst kommentiert eine Welt, die sich wandelt.“

Thekla Kalaman

Thekla Kalaman schreibt in ihrem neuen Artikel „Die Kunst ist tot, lang lebe die Kunst“ über künstliche Intelligenz, welche Mechaniken dahinter stecken und was auf Social Media los ist, wenn eine von ihnen bei einem Kunstwettbewerb den 1. Platz belegt. Hint: Shit Storm und halli galli. Aber keine Sorge, Theklas Text versöhnt und entdramatisiert. Sie nimmt der Wut ihre Hitze und der Panik den Grund. Künstler*innen sollen Vertrauen haben, schreibt sie. In sich und ihre Arbeit. Denn so flüchtig manches ist, so beständig ist die Kunst in ihren Darstellungsweisen. Und dazu gehört, Neues mitzunehmen. Und: Keine Angst vor künstlicher Intelligenz. Denn was künstlich ist, das steckt doch schon im Wort, ist gemacht. Und dazu braucht es noch immer den Menschen, der seine Ideen dort hineingibt.

Von Elefanten und Vampiren. Das neue Hörspiel von Elfie Donnelly

Ich erinnere mich genau daran – oder eben so genau, wie man sich an etwas erinnern kann, das 30 Jahre her ist – wie ich als Kind in meinem Zimmer stand, dabei wie so oft ein Hörspiel im Hintergrund lief und ich beschloss: Als Erwachsene möchte ich Hörspiele machen!
Wie genau das aussehen würde, wusste ich natürlich nicht. Nur, dass es unbedingt etwas mit den Figuren zu tun haben sollte, die ich so mochte. Benjamin Blümchen, Der kleine Vampir, Pitje Puck, Klavi Klack, Bibi Blocksberg waren meine Lieblinge.

Damals schon die Forscherin, die ich heute bin, interessierte mich eben nicht nur das Was, sondern auch das Wie, wenn es um Geschichten ging. Irgendwer musste schließlich die Geschichten, die ich so liebte, geschrieben und aufgenommen haben.

Neugierig studierte ich die Informationen auf den kleinen Zettelchen in den Hörspielkassetten. Autor*in, Sprecher*innen, Musik … all das interessiere mich brennend. Doch in den 1990ern war es mit der Recherche damit dann auch schon vorbei.

Mein Berufswunsch änderte sich in den folgenden Jahren im Kleinen und Großen immer mal wieder, doch drehte sich am Ende alles darum, genau das zu machen, was ich unterm Strich schon immer tun wollte: Irgendwas mit Kunst, irgendwas mit Menschen. Ich hatte das große Glück, bei einer kulturschaffenden Großmutter aufzuwachsen, bei der ich lernte, wie man selbstständig Kunst macht und sich aktiv mit anderen vernetzt, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Doch was meine Oma schrieb, waren keine Geschichten, sondern Musikstücke.

Wenn man nicht gerade in einer Autor*innen-Familie aufwächst (eine abenteuerliche Vorstellung), muss man sich seine Vorbilder suchen. Mein Kompass waren diejenigen, die bereits das taten, was ich tun wollte.

Eine Autorin, die mich während meines Aufwachsens immer wieder interessierte, war Elfie Donnelly: Die Erfinderin von Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen.

Sie wurde 1950 in London geboren und wuchs in England auf. Sie zog später nach Wien, dann nach Berlin. Dort lernte sie auch Peter Lustig kennen, der den meisten als der Erschaffer und Moderator der Kindersendung Löwenzahn bekannt ist, und heiratete ihn. Donnelly arbeitete als Journalistin und schrieb Hörspiele für das Radio. Und schließlich erfand sie die berühmten Figuren, der noch heute außerordentlich erfolgreichen Reihen rund um Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg. Aber nicht nur das: Donnelly schrieb auch Romane. Um die Hörspiele wurde es ruhiger, nachdem sie ihre Rechte an ihren Figuren verkaufte. Doch 2020 kam die Überraschung: Elfie Donnelly hatte ein neues Hörspiel geschrieben! Und darin ging es um Vampire! Könnte mich etwas noch glücklicher machen? Kaum.

Draculino – vampirzahnscharf und fledermausflügelig!

Donnellys neue Hörspielreihe trägt den Titel „Draculino“. Darin geht es um den 7-jährigen Luca, der in einem baufälligen Waisenhaus in Poggio, einem kleinen Ort in Italien, aufwächst und ein eher stiller Junge ist. Vermutlich deswegen wird er auch zur Zielscheibe von einem rüpelhaften Jungen, der Luca im fiesen Gerangel seiner Vorderzähne beraubt. Fortan lispelt Luca und sieht mit seinen spitzen Eckzähnchen aus wie ein kleiner Vampir. Grund genug für die heimlichen Bewohner des Waisenhauses – ein Vampir-Ehepaar, das es sich mit Särgen im Keller des Gebäudes gemütlich gemacht hat – ganz vernarrt in den armen Luca zu sein. Die Vampire Succhia und Lambiro wünschen sich so sehr ein Kind, dass sie sich Luca annehmen und ihn Draculino taufen.

Luca, der denkt, er träume, spielt nach einigem Zögern mit. Schließlich ist ein Leben mit Vampiren deutlich aufregender als das dröge Leben im Waisenhaus, findet er. Doch bald wird alles noch aufregender: Bürgermeister Ladroni droht, das Waisenhaus plattzumachen und stattdessen ein Casino auf den Baugrund zu stellen. Zusammen mit seinen vampirischen Zieh-Eltern und seiner Freundin Mila macht sich „Draculino“ zu einem Abenteuer auf, das Waisenhaus vor seinem Schicksal zu bewahren.

Elfie Donnelly hat eine Geschichte voller klassischem Witz und einer guten Portion Kampfgeist geschrieben, die Bekanntes pflegt und aktuelle Themen aufgreift. Flucht, Enteignung, Kapitalismus, Glaube, Religion, Trauer und Abschied sind einige Bereiche, die direkt, aber sensibel und kindgerecht angesprochen und erklärt werden. Das Thema Rechtsextremismus schwingt auch mit, und zwar in der Form der unbeliebten „Braun-Vampire“, die immer mal wieder auftauchen und nerven. Wenn die Kinder vielleicht noch zu jung sind, um manche Metapher zu verstehen, so gibt das Hörspiel Draculino einiges für Erwachsene her.

Ich habe mich beim Hören immer wieder mal dabei ertappt, wie ich dachte: Toll, wenn ich einmal auf eine Karriere zurückblicke, wie es Elfie Donnelly kann, dann möchte ich auch weiterhin den Schwung haben und Neues erfinden.

So ist diese Autorin meiner Kindheit nach wie vor ein künstlerischer Kompass für mich. Die Nadel zeigt an, wonach mir der Sinn steht. Bleibt nur noch die Frage: Wo liegt eigentlich Poggia?

Friday Favorite: Coco Chanel

Nach dem Tod ihrer Mutter verbringt Coco Chanel sieben Jahre im Waisenhaus und lernt dort in der klösterlichen Nähstube das Handwerk, das einmal ihr Lebenswerk ausmachen würde. Mit zwanzig Jahren nimmt Coco erste Aufträge an. Sie verkauft selbstgenähte Babykleidung und Wäsche für die Aussteuer. In Paris eröffnet sie dann einen Hutsalon und in den kommenden Jahren revolutioniert sie die Modebranche.
Coco Chanel kürzt die bis dahin sittsam langen Röcke, schafft das Korsett ab und kreiert das berühmte Chanel-Kostüm. 1920 kommt der nächste Schlager: Chanel No. 5 avanciert zum meistverkauftesten Parfum. Coco Chanel war eine besondere Frau und ihr Werk und Wirken ist so zeitlos wie das Kleine Schwarze. Sie wurde heute vor 139 Jahren geboren. 🖤