Im Gespräch mit… der Literaturübersetzerin Alexandra Kranefeld

Liest man ihren Twitterfeed, wird auf den ersten Blick nicht klar, dass sie als Übersetzerin arbeitet. Muss es ja auch gar nicht, nicht jede*r erzählt nüchtern vom Alltag, sondern wählt lieber eine andere, literarische Form. Alexandra nutzt Twitter literarisch und schreibt mal prägnant und mal verschlungen, überspitzt und manchmal schief.
Doch sobald man um ihren Beruf weiß, entfaltet sich vor einem eine weitere Lesart, eine neue Ebene der Deutungsmöglichkeit ihrer Kurzprosa. Sie schreibt vom Unfertigen der Form und kreativen Distanzen zum Text. Der Bezug zu ihrer Arbeit ist plötzlich sehr präsent. In ihrer Bio heißt es schlicht: Alexandra Kranefeld liest, lebt und übersetzt. Und darum geht es auch in diesem Interview.

***

Der Satz, der meine Arbeit zurzeit am besten beschreibt, könnte lauten…

Im Augenblick muss ich mich sehr disziplinieren, der Text ist etwas widerständig und bei zweien der vier Figuren, aus deren Perspektive erzählt wird, muss ich teils sehr gegen mich anschreiben. Das kann eine gute Übung sein, erhellend, ja inspirierend, aber wenn die Zeit drängt, ist es eben auch anstrengend – das sind schon zwei Sätze, gleich drei – und bei aller Disziplin und Bergarbeit das Freischwingende nicht verlieren, also eine kleine Tour de force wiederholter Überarbeitungen, idealerweise mit zeitlicher Distanz.

Also: Am und beim Text bleiben, auch wenn es schwerfällt.

Die Motivation für meine Arbeit erhalte ich mir, indem…

… ich lese, lese, lese, auch und gerade Übersetzungen. Und mit weit offenen Ohren durch die Welt gehe. Eigentlich bin ich viel eher ein visueller Mensch, aber beim Übersetzen merke ich immer wieder, wie stark ich von meinem akustischen Gedächtnis zehre. Ein guter Grund auch, mehr Filme zu schauen, am besten OV und Synchronisation, wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge.

Das Beste, was mir zuletzt mit meiner Arbeit passiert ist…

Hörbuchfassungen. Ich liebe es, meinen Text von jemand anderem gesprochen zu hören, auch das letztlich eine Form von Distanz und Anverwandlung.

Und jeder tolle Auftrag, jede konstruktive Rezension, Feedback von Lektorinnen, das mich freut und von dem ich lernen kann. Überhaupt Resonanz, dieses Gefühl, nicht im luftleeren Raum zu arbeiten, zu sehen, wie der Text, das Buch hinausgeht in die Welt. Ein Preis wäre toll, tendenziell steigende Seitenhonorare. Ganz banal und materiell: Die Ausschüttung der VG Wort fiel diesen Sommer sehr erfreulich aus und das fand ich ziemlich prima.

Alexandra Kranefeld aus der Sicht Ihres aktuellen Manuskripts. Foto: privat

Wer inspiriert dich aktuell besonders?

Ich hatte kürzlich Blond von Joyce Carol Oates gelesen, diese mehr oder minder fiktive Anverwandlung des Lebens Marilyn Monroes, nachdem es Jahre ungelesen bei mir im Regal gestanden hatte, weil ich dachte, es sei lang, zäh und fragmentarisch, doch weit gefehlt, es ist großartig! Dieser unglaubliche Sound, der das ganze Buch trägt und vorantreibt (übrigens drei Übersetzerinnen und keine erkennbaren, nicht im Text angelegten Brüche). Diese frei schwebende Annäherung ans Sujet. Und die Bezüge zum Schauspiel, zu Stanislawski und den Kreisen der Aufmerksamkeit. Übersetzen ist für mich oft wie Theater ohne Bühne, daher hatte es einiges in mir zum Klingen gebracht.

(Es ist bei mir meist mehr ein ‚was‘ denn ein ‚wer‘ der Inspiration.)

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus, wenn du an Texten arbeitest?

Ich brauche den Morgen als Anlaufzeit, den halben Vormittag vertwittere ich und tue und mache, eine Mischung aus Prokrastination und Notwendigkeit. Um elf sitze ich am Schreibtisch, zwei Stunden später ist schon wieder Mittag, meine kreativste und produktivste Zeit ist meist der späte Nachmittag, um neunzehn Uhr ist Feierabend. Wenn mein Nacken sich verspannt, mein Kopf leere Schleifen dreht, lege ich kleine Meditationspausen ein, um Knoten zu lösen, auch solche im Text. Musik davor, danach oder dazwischen, beim Übersetzen brauche ich Stille, beim Überarbeiten erst recht.  

Was würdest du mit deiner Tätigkeit gerne noch erleben?

Ich hätte gerne Zeit, Energie und Geld, kurzum Ressourcen, um mich für eines meiner Projekte auf Recherchereise zu begeben, den Weg der Protagonisten abzuschreiten, die Orte zu erkunden, all das, was ich stattdessen mit Google Maps etc. mache.

Wieso/weshalb/warum empfiehlst du jungen Leuten, es in deinem Metier als Übersetzer*in zu versuchen?

Ihr könnt eure Freude an der Sprache, am Schreiben und Fabulieren ausleben, ohne euch alles selbst ausdenken zu müssen, also die Figuren, den Plot, das Fleisch. Sich an einem vorgegebenen Text stilistisch abzuarbeiten, kann ein Korsett sein, aber auch sehr befreiend. Fremdheitskompetenz, das Eigene im Anderen und vice versa – und jetzt verliere ich mich langsam in Stichworten und überlasse das Ausformulieren und die weitergehende Zwiesprache mit dem Text den geneigten Leserinnen und Lesern.

***

Ihr findet Alexandra Kranefeld als @greenishglass auf Twitter. Ihre Übersetzungen, wie zum Beispiel Ich, Eleanor Oliphant und Morgen schreib ich dir ein Happy End, erscheinen regelmäßig in verschiedenen Verlagen.

Worte des Danks, weil sie so schön sind.
Danke für das Gespräch, liebe Jess, es war und ist mir eine Freude; Vorhang und Fadeout, um im obigen, hier leicht schief geratenen Bild zu bleiben.
Und ich danke Dir, liebe Alexandra, für das inspirierende Gespräch und deine offenen Antworten zu Deinem spannenden Arbeitsalltag.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert